Atelier Chardon Savard

Prof. Dr. Kristin Hahn

Professorin Modetheorie / Fashion Studies

"Kleidung und Mode sind sehr machtvolle Instrumente"

Kristin Hahn ist seit Februar 2021 Professorin für Modetheorie/ Fashion Studies bei Atelier Chardon Savard in Berlin und ergänzt damit das Modedesign-Team mit einem kulturhistorischen Hintergrund. Sie studierte Europäische Ethnologie und Erziehungswissenschaften an der Ludwig-Maximilians-Universität München und der Humboldt-Universität zu Berlin. 2011/2012 absolvierte sie das Postgraduate Research Program an der Middlesex University in London. Kristin Hahn lehrte am Institut für Europäische Ethnologie der Humboldt-Universität zu Berlin, an dem sie Anfang 2019 ihre Promotion abschloss.
 
2018 leitete sie gemeinsam mit Prof. Dr. Sigrid Jacobeit das zweisemestrige Studien- und Forschungsprojekt „Brennender Stoff. Deutsche Mode jüdischer Konfektionäre vom Hausvogteiplatz“. Das interdisziplinäre Projekt umfasste die Aufarbeitung der Geschichte des einstigen Modezentrums um den Berliner Hausvogteiplatz als Entstehungsort der deutschen Konfektionsindustrie und verdeutlicht damit die in der Öffentlichkeit kaum bekannten modehistorischen Wurzeln Berlins sowie deren jüdischen Hintergrund.

Das Projekt entstand in Zusammenarbeit mit zahlreichen internationalen Kooperationspartnern sowie unter Schirmherrschaft der damaligen Justizministerin Dr. Katarina Barley. Das Projekt spiegelt Kristin Hahns Ansatz in der Lehre sowie der (Projekt-)Arbeit mit Studierenden wider: Ihr Anliegen gilt dabei der verstärkten Verbindung von Theorie und Praxis sowie insbesondere der Förderung von Interdisziplinarität.

Was bedeutet Mode Ihnen ganz persönlich und wie ist Ihr professioneller Blick auf Mode?

Ich differenziere sehr stark zwischen den Begriffen Kleidung und Mode. Ich mag die Eigenschaften, die ich persönlich mit Kleidung verbinde: Vertrautheit, Schutz, Sicherheit, Geschichte und Kulturgut. Kleidung verschafft uns wie keine zweite Objektkultur Zugang zu Geschichte und Geschichten, Kulturen und Traditionen, Werten und Bedeutungen, Gesellschaftssystemen und Identitäten, Persönlichkeiten und Emotionen.

Jeder hat ein individuelles Verständnis davon, was Kleidung und Mode bedeutet. Das ist auch sehr wichtig, schließlich hält der Mensch eine lebenslange und sehr intime Beziehung zu Kleidung – wir tragen sie (zumindest in den meisten Fällen) in unterschiedlichsten Formen seit unserer Geburt nahezu rund um die Uhr „mit uns“. Und das bis über unseren Tod hinaus. Kleidung zählt zu den ersten und wichtigsten materiellen Beziehungen, die ein Mensch pflegt, obgleich es hier zahlreiche kulturelle Unterschiede gibt.  

Das Phänomen der Mode ist hingegen stark geprägt von konstantem Wandel. Mode hat vielmehr einen symbolischen Wert und ist nicht haltbar. Mode kommt und geht, wann sie es möchte. Keiner kann sie fassen – und das möchte sie auch nicht. Macht das nicht etwa erst ihren Reiz aus? Kleidung hingehen ist stark objektbezogen und konstruiert entsprechende Bedeutungen und Symboliken über ihre Beziehung zum Subjekt. Es ist erst der Mensch, der dem Objekt, in dem Fall der Kleidung, Bedeutung und Funktion verleiht.

Das eine geht nicht ohne das andere. Kleidung ist als Grundbedürfnis fester Bestandteil von Kultur und Alltag und symbolisiert damit Werte und Haltbarkeit, vermittelt Emotionen und gibt uns Sicherheit. Kann das Mode nicht auch alles? Ja – und nein. Der Wandel der Zeit bringt Veränderungen mit sich. Es gibt zahlreiche Fragen, die wir uns stellen müssen: Wie gehen wir zum Beispiel mit dem Begriff der Nachhaltigkeit im Hinblick auf Mode um? Widersprechen sich dabei nicht zahlreiche Eigenschaften? Mit der Entwicklung unserer Gesellschaft ergeben sich stets neue Erkenntnisse und Werte. Ständig müssen wir unsere Denkmuster und unser Verständnis überdenken und weiterentwickeln. Ist das nicht schließlich das, was Mode am besten kann? Vielleicht ist es dann auch an der Zeit, unser Verständnis von Mode zu überdenken.


Welche Bedeutung hat für Sie Modetheorie in der Ausbildung der jungen Modedesigner*innen?

Um Mode erfolgreich kreieren zu können, muss man verstehen, wie sie funktioniert. Modetheorie bildet die Essenz jeglicher Prozesse in der Mode ab, die oftmals in der Modeindustrie unreflektiert bleiben. Ich möchte jungen Studierenden das Werkzeug und das Verständnis mit auf den Weg geben, sich eigenständig theoretisch mit dem Thema Mode auseinanderzusetzen.

Der Zeitgeist und unsere Gesellschaft sind stets im Wandel. So ändern sich auch unsere Bedürfnisse und das, was wir von Kleidung und Mode erwarten. Aus der Geschichte können wir anhand zahlreicher gesellschaftlicher, wirtschaftlicher und demografischer Umbrüche lernen, wie sich Kleidung und Mode entwickelte und immer neu konstruierte. Dazu gehört insbesondere das kulturhistorische Fundament der Kleidungsforschung, aus dem wir auch für die heutige Reflexion wertvolles Wissen schöpfen können.

Sowohl Kleidung als auch Mode sind beides sehr machtvolle Instrumente – verankert im Objekt einerseits und symbolisch übertragen andererseits. Diese Macht sollten wir uns als Menschen im positiven Sinne zu Nutzen machen.

Wie können wir Kleidung und Mode nutzen, um Entwicklungen voranzutreiben oder Bewusstsein für die unterschiedlichsten Thematiken schaffen? Es ist wichtig, Kleidung und Mode niemals isoliert zu betrachten, sondern als Teil eines kulturellen Gesamtsystems zu begreifen. Erst in ihren interdisziplinären Verknüpfungen kann das Konstrukt der Kleidung und Mode in allen Zusammenhängen hinreichend verstanden werden.